Sonntag, 8. April 2012

Günther Grass und die neue Blechtrommel

...was kam zuerst das Huhn oder das Ei? Günther Grass oder das Bestreben der deutschen Gesellschaft die ungeschminkte Wirklichkeit zu offenbaren?

Günther Grass, der Gute, der Alte, er hat mal wieder was verfasst, mit dem er aneckt. Soweit, so normal. Nun schreibt er ein Gedicht (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/das-gedicht-von-guenter-grass-was-gesagt-werden-muss-11707985.html), veröffentlicht es bei einer großen bekannten Tageszeitung und es geht eine Welle des Entsetzens in Deutschland um, als hätte jemand „buh“ auf einer Kindernachtwanderung gerufen.
Dass er einem leidtun könne, dass er in seinem Alter nicht zu einem weiseren Ergebnis komme, kommentieren die einen bei Faz.net. Das Fass sei übergelaufen, die anderen. Aber es gibt auch diejenigen, die meinen Grass zu verstehen, sehen "weit hinter den Zeilen" den wahren Sinn dessen, was er eigentlich sagen möge, nämlich, dass man sich im Allgemeinen in Deutschland nicht in der Lage fühlt offen über Israels Rolle im immerwährenden Nahostkonflikt zu diskutieren.
Und dabei haben wir hier -scheinbar- Meinungsfreiheit. Reicht es nicht, dass § 130 StGB (Volksverhetzung) offensichtlich - und das weiß jeder Jurastudent des dritten Semesters dieses Landes - verfassungswidrig ist und alle das, schweigend natürlich, hinnehmen. Das heißt nicht, dass ich es in Ordnung finde, wenn jemand die Shoa verleugnet oder das Volk verhetzt. Aber ob ein Straftatbestand gegen die Irrungen und Wirrungen des Geistes zu helfen vermag, die zur Verwirklichung dieses Tatbestandes beitragen, das bezweifle ich ganz stark.
Der Günther hat also ein Gedicht geschrieben. Um mit der Kritik anzufangen: Ich finde vor allem die Bezeichnung "Gedicht" und überhaupt die literarische Ausdrucksweise höchst irritierend. Aber Literaturkritiker würden das sicher als "Günthers‘ neuen Stil" und "prosaisch" bezeichnen. Der Leser bekommt geradezu das Gefühl, Grass hätte unbedingt seine Meinung sagen wollen, es sei ihm aber keine bessere Form und Formulierung eingefallen. Aber darum geht es hier ja nicht.
Günther Grass hat großen Mut. Er nimmt es in Kauf, Mittelpunkt eines vorprogrammierten, heftigen verbalen Schusswechsels über und unter der Gürtellinie zu werden und selbst an Ansehen zu verlieren, um der Sache willen, wie es aussieht. Nur dass er nicht verlieren kann. Wer wird schon dem Autor der Blechtrommel Antisemitismus vorwerfen wollen, ja können? Undenkbar! „Alter schützt vor Torheit nicht!“, sagen jetzt sicher einige. Aber Günther Grass ist schlau, er spricht sogar selbst von Antisemitismus, und nimmt damit schon vorher dem schärfsten Geschoss den Wind aus der Blechtrommel:

"Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt „Antisemitismus“ ist geläufig."


Er klagt sich vorsorglich schon mal selbst an, dadurch wird der Vorwurf Günther Grass sei antisemitisch, oder wenigstens antiisraelisch, zur Farce. Trotzdem lässt er nicht lange auf sich warten. Darüber kann man nur schmunzeln. Herr Grass hat versucht den Leser des Gedichtes dazu zu nötigen über den wirklich Sinn dieses "Gedichtes" nachzudenken. Doch selbst Grass dürfte mit dieser Woge des Medienhasses, die ihm entgegen schlägt, nicht gerechnet haben. Dachte er sein literarischer Thron könne nicht gestürzt werden? Jetzt vergleiche er sich mit den Opfern der Nazis, pardon liebe Tageszeitung, ich sage es nur deutlicher, weil er „Herkunft als Makel“ schreibt. Und nicht Geschichte, „mein Land“, „meine Generation“. Seit wann ist „Herkunft“ „genealogisch“?

Unter Herkunft versteht man:
• in der Evolution oder Familiengeschichtsforschung die Abstammung eines Lebewesens
• die räumliche Herkunft eines Menschen, d. h. den Ort, die Region oder das Land, wo er geboren wurde (und aufgewachsen ist)
• die räumliche Herkunft von Produkten oder Immissionen
• die Heimat eines Menschen oder Tiers
• die ethnische Herkunft eines Menschen
• die soziale Herkunft eines Menschen, siehe auch Sozialisation
• Herkunftslegenden religiöser Natur (Ätiologie)
• in der Sprachwissenschaft die Etymologie eines Wortes, eines Begriffs oder einer Phrase.


Ein „Maulheld“ sei er, weil er „Israel zur Bedrohung des Weltfriedens erklärt“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/eine-erlaeuterung-was-grass-uns-sagen-will-11708120.html). Und Israel verurteilt sein Gedicht…Oh Wunder! Schon klar, ich fände es auch nicht in Ordnung, wenn jemand mit dem Finger auf mich zeigt und sagt: „Du machst was falsch!“ oder wenigstens "Da stimmt was nicht". Und außerdem wäre es ein ernsthaftes Problem, wenn wir diesen Krieg nicht mehr finanzieren würden. Also wirklich, Herr Grass, unmöglich das!! Ich gebe zu Bedenken, dass die liebe FAZ das Gedicht ja erst veröffentlicht hat....um dann eine Medienkampagne gegen Grass zu fahren. So macht man sich auch Schlagzeilen! Man könnte auch sagen die FAZ schlage eine neue Art der Blechtrommel...

Aber worum geht es denn nun wirklich? Bei vielen mögen die Zeiten der Gedichtinterpretation im Deutschunterricht schon eine Weile Vergangenheit sein, aber sicherlich ist jedem geläufig, dass der Titel eines Gedichtes durchaus eine zentrale Aussage enthalten kann. "Was gesagt werden muss" lautet der Name des Gedichtes.
Was ist es also, das gesagt werden muss? Das Israel auch Atomwaffen hat und sich niemand daran stört, aber dass der Iran vielleicht welche hat, ist ganz fürchterlich schrecklich schlimm? Wikipedia sagt: „Israelische Atomwaffen gelten als Teil der militärischen Bewaffnung Israels.“ Ah ja.

"Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir - als Deutsche belastet genug -
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre."


Wir wissen, dass Israel Atomwaffen hat. Wir schweigen, weil wir, geknechtet von der Jahrhundertschuld des Holocausts als mittelbarer Mitverursacher des Nahostkonfliktes meinen nun für immer auf Israels Seite stehen zu müssen und niemals nicht auf etwas aufmerksam machen, nicht einmal Kritik üben dürfen. Aber das ist genau der gleiche Fehler, wie damals als alle schwiegen, Deutsche wie Andere, als Unfassbares geschah. Das ist weitblickloses, zurückhaltendes, deutsch-deutsches Kleinbürgertum! Jetzt mögen wir sagen können, wir sind auf Israels Seite, aber was wenn dieser Krieg tatsächlich noch viel stärker eskaliert, was wenn Israel eine Atombombe auf Palästina wirft und der ganze Nahe Osten mit einem Schlag vernichtet oder mindestens verseucht wird? Dann wird wohl keiner mehr sagen wollen: " Aber wir, wir waren immer auf Israels Seite, wir die Verbündeten aus gemeinsamer Geschichte, wir haben Geld gegeben und diesen Krieg finanziert und dachten wir würden damit das Richtige tun."
Und bevor mir jetzt jemand Antisemitismus oder Anti-Isrealismus vorwirft- Ich habe weder gegen jüdische Mitbürger gleich welchen Landes dieser Erde noch gegen Israel als solches etwas einzuwenden!
Aber gegen Krieg, gegen Atombomben, gegen den Tod von Menschen, gegen Gefangenschaft und gegen all das Dunkel, was ein Krieg so mit sich bringt, dagegen habe ich was. Und es tut mir leid, aber es ist mir egal, wer den Krieg führt! Niemand sollte Atomwaffen haben, niemand, niemand, niemand. Und jedes Land, das Atomwaffen besitzt, stellt per definitionem eine Bedrohung des Weltfriedens dar. Denn was nützen Atomwaffen, wenn man nicht irgendwie auch bereit ist sie einzusetzen? Darf man denn hier nicht mehr sagen, dass Israel den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat? Gerade Grass' Vergleich mit dem Iran, macht doch deutlich, dass es ihm nicht darum geht, dass Israel den Weltfrieden gefährdet, sondern dass Atomwaffen den Weltfrieden gefährden!
Wir müssen endlich ehrlich zu uns sein, ehrlich zu den anderen! Die Schuld der beiden Weltkriege lähmt uns, dabei tragen wir eine große Verantwortung, nämlich den Frieden zu sichern, den das deutsche Volk wie kaum ein anderes schätzen gelernt haben sollte. Und es ist noch nicht zu spät! Wir brauchen Schlichter in Israel, keine Atom U-Boote, wir brauchen mehr weiße Flaggen und weniger Gewehre, mehr fröhliche Jugendliche, weniger Soldaten, mehr Geld für Hungernde, als für Krieg! Zu einer Auseinandersetzung gehören immer zwei, wenn beide aufhören würden, dann wäre es vorbei. Aber solange beide weitermachen wird der Streit niemals enden, werden die Israelis, Palästinenser und alle anderen niemals in Frieden leben, und die Israelis verteidigen sich gegen Palästina und Palästina gegen Israel, je nachdem von welchem Blickwinkel aus man das betrachtet. Beide Seiten haben Friedensvereinbarungen und völkerrechtliche Verpflichtungen gebrochen, das lässt sich nicht weg reden, noch weniger wegschweigen. Und es wird immer einfach weiter gehen. Das Wort Deutschlands hat heute aber wieder ein Gewicht, dass es vermag dies zu ändern! Diese Chance sollten wir nutzen, anstatt uns hinter der Angst, jemand könnte uns "Nazi" rufen zu verstecken.

Das Gedicht Günther Grass' ist eine Hommage nicht nur an die Meinungsfreiheit, sondern an den Frieden und die Verantwortung des Deutschen Volkes und Staates zu versuchen diesen Konflikt zu lösen, anstatt ihn zu finanzieren!!! Man kann nur hoffen, dass Günthers Hoffnung, dass viele in seinen Ruf einstimmen, eintritt und endlich ein Ende des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ mit dem mit unserer Schuld tief getränkten Geld eingeläutet wird:

"...es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern..."


In diesem Sinne, Shalom, liebe Leser, Shalom!

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